INTERVIEW
»Ich sehe Licht am Horizont«
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
Wie hat sich der Markt für neue Mobilitätsdienstleistungen bis heute entwickelt?
Über die letzten zehn Jahre hat sich gezeigt, dass die Erwartungen teilweise überzogen waren. Es wurde fast so dargestellt, als würden innerhalb weniger Jahre Autos schrittweise aus den Städten verschwinden und jeder nur noch Sharing-Angebote nutzen. Diese Vorstellung war von Anfang an völlig unrealistisch und der Hype ist mittlerweile stark abgeflaut. Wir befinden uns aktuell im Tal der Tränen, in einer Phase der Enttäuschung in manchen Mobilitätsfeldern. Das ist für mich aber eher eine positive Entwicklung. Denn jetzt wird so langsam klar, worauf es wirklich ankommt, um mit neuartigen Mobilitätsdiensten Erfolg zu haben. Zum anderen sehen wir, dass in manchen Mobilitätssektoren eine starke Konsolidierung eingesetzt hat – beispielsweise bei der Mikromobilität. Aber ich sehe auch Licht am Horizont. In einigen Bereichen wie beim Ridesharing befinden wir uns jetzt auf dem Pfad der Produktivität und der produktiven Skalierung.
Einige Player haben mittlerweile die Gewinnzone erreicht. Wie konnte das gelingen?
Eine Erfolgsgeschichte schreibt derzeit Uber: Das Unternehmen hat im letzten Jahr zum ersten Mal einen nennenswerten Gewinn erzielt. Das markiert eine regelrechte Zeitenwende. In den letzten Jahren ist es Uber zudem gelungen, seine Nutzerbasis erheblich zu erweitern und gleichzeitig die Kosten unter Kontrolle zu bekommen. Um nun wirklich profitabel zu werden, brauchte es eine Strategie, die darauf abzielt, ein Ökosystem an Dienstleistungen aufzubauen, die sich gegenseitig ergänzen. Ein Beispiel ist der Ausbau von Uber Eats. Dadurch konnten die Fahrer besser ausgelastet werden, da sie nicht nur Personen beförderten, sondern auch Essen und Fracht auslieferten. Diese höhere Auslastung führte zu positiven Netzwerkeffekten: Kunden, die Uber-Fahrer nutzen, greifen auch verstärkt auf Uber Eats zurück, was die Dienstleistungen miteinander verknüpft und verstärkt.
Dennoch haben immer noch viele Akteure zu kämpfen. Was ist zu tun, um die Bedingungen für Alternativen zum Privat-Pkw zu verbessern?
New Mobility wird sich nur dann durchsetzen, wenn es auch eine politische Orchestrierung gibt. Nehmen wir das Beispiel Carsharing: Damit es erfolgreich sein kann, müssen bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden, etwa ausreichende und preislich angemessene Parkmöglichkeiten. Gleichzeitig wäre es hilfreich, wenn der motorisierte Individualverkehr ein Stück weit eingeschränkt wird, beispielsweise durch spezielle Fahrspuren oder Angebote für Micromobility. Für solche Maßnahmen ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den Städten und den Anbietern notwendig. Es bleibt abzuwarten, ob Deutschland die nötige Kraft aufbringt, um solche Projekte langfristig erfolgreich umzusetzen. In den letzten Jahren haben wir etwas an Schwung verloren.
Kurzvita
Stefan Bratzel ist seit 2004 Leiter des Center of Automotive Management (CAM) und Dozent an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Das CAM ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung.
Der promovierte Politikwissenschaftler ist zudem Verantwortlicher für den Masterstudiengang Automotive Management. Bratzel war zuvor unter anderem Produktmanager beim Automobilhersteller Smart und Programmmanager bei Quam in München.