INTERVIEW
»Autonomes Fahren wird zum Game Changer«
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
Die New Mobility Player scheinen die Coronapandemie relativ gut überstanden zu haben. Trügt dieser Eindruck?
Anscheinend waren die finanziellen Mittel bei vielen Anbietern ausreichend, um die Corona-Hochphasen zu überstehen. Einige Player zeigten sich aber auch flexibel und haben ihr Geschäftsfeld in der Krise schnell auf andere Bereiche ausgeweitet, beispielsweise auf Essenslieferungen. Trotzdem bewegen sich Mobility-Akteure jetzt in eine Reife- und Konsolidierungsphase, in der es darum geht, echten Mobilitätsnutzen zu generieren und nachhaltig profitable Geschäftsmodelle zu etablieren.
Das Schwerpunktthema des MSR 2021 sind die autonomen Fahrdienste. Welches Potenzial hat die Automatisierung des Verkehrs für neue Mobilitätsdienstleistungen?
Um es deutlich sagen: Das autonome Fahren wird für die geteilte Mobilität zum Game Changer. Autonome Fahrdienste werden neue Umsatzpotenziale heben und Mobilitätsakteure in die Gewinnzone führen. Wenn kein menschlicher Fahrer mehr nötig ist und Fahrdienste mit Robotaxiflotten ausgestattet sind, ergeben sich ganz neue lukrative Geschäftsfelder. Doch das wird nicht von heute auf morgen gelingen. Zwar tun sich aktuell in den USA, in Europa oder China immer mehr Anwendungsfälle auf, dennoch wird die Entwicklung schrittweise erfolgen.
Wohin führt die Reise in Sachen urbaner Mobilität der Zukunft für die Automobilhersteller?
Es ist eine starke Polarisierung zwischen den Autobauern festzustellen: Nur sehr wenige haben für sich die Sharing Mobility überhaupt als relevantes Geschäftsfeld der Zukunft identifiziert. Das liegt daran, dass viele Entscheider in den Vorstandsetagen so sehr mit dem Wandel im Ownership-Bereich beschäftigt sind, dass der Blick über den Tellerrand des eigenen Geschäftsmodells überfordert. Dazu kommt, dass nur wenige OEMs über die für die geteilte Mobilität notwendigen Kompetenzen wie zum Beispiel Plattform-Knowhow oder Data Management verfügen. Und selbst für gut aufgestellte Player steht das Thema strategisch nicht an erster Stelle. Denn auch sie wissen, dass in den nächsten Jahren noch viel Kraft und Geld in die Mobilitätsdienste fließen müsste, um am Ende profitabel zu werden und auch dem Wettbewerb mit den großen Mobility Providern standhalten zu können.
Kurzvita
Stefan Bratzel ist seit 2004 Leiter des Center of Automotive Management (CAM) und Dozent an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Das CAM ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung.
Der promovierte Politikwissenschaftler ist zudem Verantwortlicher für den Masterstudiengang Automotive Management. Bratzel war zuvor unter anderem Produktmanager beim Automobilhersteller Smart und Programmmanager bei Quam in München.