INTERVIEW
»Die Wachstumseuphorie ist vorbei«
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
CAM-Direktor Prof. Stefan Bratzel im Gespräch
Wo steht die weltweite Mobilitätsindustrie heute nach Jahren sich überlagernder Krisen?
Viele neue, innovative Mobilitätsangebote sind in den letzten Jahren vom Markt verschwunden – daran hat die Coronapandemie natürlich ihren Anteil gehabt. Doch auch jenseits von Corona stellen wir in den letzten Jahren starke Konsolidierungstendenzen über alle Servicebereiche fest. Vor allem beim Carsharing oder der Mikromobilität kam es zuletzt zu vielen Verkäufen oder Marktrückzügen. Viele Player haben Probleme mit der Auslastung und kommen mit ihrem Dienst schlichtweg nicht in die Gewinnzone. Im Ergebnis gibt es in den einzelnen Bereichen nur noch eine Handvoll bedeutsamer Anbieter, die ihr Geschäft voll und ganz auf den Betrieb bestimmter Mobilitätsdienste spezialisiert haben und zudem über ausgeprägtes Daten- und Plattform-Knowhow verfügen. Um es klar zu sagen: Die Wachstumseuphorie der Anfangsjahre ist definitiv vorbei.
Warum ziehen sich immer mehr Autobauer aus dem Geschäft mit der New Mobility zurück?
Den meisten Herstellern ist es bislang nicht gelungen, sich zu erfolgreichen multimodalen Mobilitätsdienstleistern zu transformieren. Nach hohen Verlusten durch verschiedene Engagements überlassen sie das Geschäftsfeld rund um neue Mobilitätsdienstleistungen nunmehr überwiegend den spezialisierten Mobility Providern und fokussieren sich auf das Kernprodukt Auto. Bei allen deutschen Herstellern ist entsprechend die Mobility-Servicestärke rückläufig. Eine Ausnahme ist vor allem Stellantis, die mit aggressiven Investitions- und Wachstumsstrategien nun beweisen müssen, dass Automobilhersteller mit Mobilität als Dienstleistung erfolgreich sein können. Grundsätzlich ist der Hype rund um integrierte Mobilitätsdienstleistungen bei den OEMs jedoch längst verflogen und die Konsolidierung der Branche ist vor dem Hintergrund steigender Zinsen im vollen Gange.
Wie können Sharing- oder Mobility-as-a-Service-Konzepte noch zum Erfolg werden?
Der Wettbewerb um den individuellen Kunden und seine Daten wird angesichts geringer Wachstumsraten, erster Sättigungstendenzen oder steigender Betriebskosten im Mobility Business immer härter. Damit Mobilitätsanbieter mit ihren Diensten in eine Phase der produktiven Skalierung gelangen, sollten sie unbedingt ihren Innovationsgeist beschwören. Produkte müssen technologisch verbessert und das eigene Geschäftsmodell erweitert werden, um so das Kundenerlebnis zu optimieren, die Markenloyalität zu steigern, interne Effizienzen zu heben und letztendlich auch positive gesellschaftliche Effekte zu haben. Fahrdienste zum Beispiel werden sicherer und günstiger, wenn autonome Systeme den Menschen an Bord ersetzen. Wer zuerst innoviert, erarbeitet sich einen Wettbewerbsvorteil.
Kurzvita
Stefan Bratzel ist seit 2004 Leiter des Center of Automotive Management (CAM) und Dozent an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Das CAM ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung.
Der promovierte Politikwissenschaftler ist zudem Verantwortlicher für den Masterstudiengang Automotive Management. Bratzel war zuvor unter anderem Produktmanager beim Automobilhersteller Smart und Programmmanager bei Quam in München.